Diaspora
Seit dem babylonischen Exil gab es große jüdische Gemeinden in vielen Metropolen des Orients und im gesamten Mittelmeerraum: vor allem in Babylon, Antiochia, Alexandria und Rom. Sie bestanden aus den durch die Exilierungen und Aufstände vertriebenen und verschleppten Juden zusammen mit Proselyten und Konvertierten. Sie bildeten die jüdische Diaspora ohne Heimatland, erkannten aber bis 70 den Jerusalemer Tempel als religiöses Zentrum an.
Babylon wurde seit den letzten jüdischen Aufständen wieder Zuflucht vieler verfolgter Juden. Dort vertrat ein Exilarch die autonome jüdische Kolonie gegenüber den Herrschern der Parther und der nachfolgenden neupersischen Sassaniden, den Erzfeinden Roms im Osten. Die Juden waren dabei bisweilen Verfolgungen ausgesetzt: Teils aus religiösen Gründen (besonders in der Frühzeit des Sassanidenreichs, als zoroastrische Priester Einfluss auf den Großkönig ausüben konnten), später aber vor allem aus politischen Gründen, da es teilweise zu Übergriffen von Juden auf zoroastrische Priester kam oder sie in den Thronkämpfen auf der unterliegenden Seite standen.Dennoch hielten die Juden während der römisch-persischen Kriege weiter zu den Persern; die jüdischen Gemeinden in Persien (vor allem in Mesopotamien) blühten denn auch auf, in Sura und Pumbedita entstand schließlich der babylonische Talmud. Die Juden in Persien beteiligten sich aber auch teils an christenfeindlichen Maßnahmen der Großkönige, die aus der Entwicklung des Christentums im Römischen Reichs resultierten, wo das Christentum seit dem 4. Jahrhundert gefördert wurde und schließlich zur Staatsreligion erhoben wurde (siehe unten).
Im römischen Reich hob Kaiser Antoninus Pius im 2. Jahrhundert n. Chr. die meisten Religionsverbote seines Vorgängers Hadrian gegen die Juden wieder auf und erlaubte Beschneidung, Sabbatruhe, Lehrhäuser und Ordination von Schriftgelehrten. Kaiser Caracalla gewährte den Bürgern der Provinzen 212 das römische Bürgerrecht; damit durften auch Juden Verwaltungsposten bekleiden, mussten aber auch am Militärdienst teilnehmen.
In der Spätantike begann ihre Degradierung durch Konstantin I. und unter dem Einfluss der nun privilegierten christlichen Kirche. Zwar blieb das Judentum erlaubt (religio licita), wurde aber von Wohlwollen und Gesetzgebung christlicher Herrscher abhängig. Theodosius II. erließ 417 und 423 Mischehen- und Missionsverbote und andere Beschränkungen. Justinian I. verfolgte Ketzer, Samaritaner (die sich 529 erhoben hatten, siehe Julian ben Sabar) und Juden, verbot die Mazzen zum Pessach, hebräische Bibellesungen und den Mischnaunterricht. Sein Corpus Iuris Civilis wurde für das folgende Kirchen- und Staatsrecht des Mittelalters maßgebend.
Dennoch variierte die Politik der Kaiser: Konstantin I. etwa bestätigte die Rechte der jüdischen Gemeinden und erlaubte nun auch die Wahl von Juden in die Gemeinderäte. Gleichzeitig wurde Juden untersagt, zum Christentum konvertierte Juden anzugreifen. In der Konstantinsvita des Eusebius von Caesarea sind Texte enthalten, die dem Kaiser eine scharfe anti-jüdische Sichtweise unterstellen, doch ist nicht immer klar, inwiefern diese Schriften nachträglich „bearbeitet“ wurden. Theodosius I., der das Christentum zur Staatsreligion erhob, verbot zwar nachdrücklich die Heirat zwischen Christen und Juden. Andererseits versuchte Theodosius auch seine Schutzfunktion gegenüber den Juden wahrzunehmen, wie die Episode des Synagogenbrands von Kallinikos zeigt, wovon Theodosius aber durch Ambrosius von Mailand abgehalten wurde. Faktisch ohne Folgen blieb der Versuch des letzten heidnischen Kaisers Julians, das Judentum zu stärken und so das Christentum zu schwächen.
Im Laufe des 5. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage für die Juden im Imperium Romanum, wenngleich immer noch Schutzgesetze für sie erlassen wurden.Für den Westen liegen nach der Zeit Valentinians III. kaum noch zuverlässige Quellen vor, anders als für den weitgehend griechischsprachigen Osten des Imperiums.
In der Regierungszeit Justinians I. wurden etwa die gesetzlichen Bestimmungen verschärft. Ebenso kam es aber auch zu jüdischen Reaktionen, wie der Aufstandsbewegung der Samaritaner. Dennoch blühten auch in dieser Zeit durchaus mehrere jüdische Gemeinden. Im 7. Jahrhundert schließlich halfen Juden den Persern bei der Eroberung Jerusalems 614 und führten Pogrome gegen Christen durch (zum historischen Kontext siehe Römisch-Persische Kriege).Die Reaktion folgte nach dem Sieg Ostroms: Kaiser Herakleios ordnete teilweise Zwangstaufen an; nicht unerwähnt bleiben sollen ähnliche, fast zeitgleiche Maßnahmen im Merowingerreich.
Dennoch sollte nicht verkannt werden, dass das Leben von Juden und Christen im christlichen Imperium Romanum nicht nur von einem permanenten Gegeneinander bestimmt war. Wohl wurde es aber erschwert durch den teils äußerst gehässigen und scharfen Ton, der in vielen christlichen Schriften durchblickt: Juden wurden als Gottesmörder diffamiert, wodurch ein nachhaltiges Feindbild geschaffen wurde, wenngleich freilich auch teils in heidnischen Texten ein gewisser Anti-Semitismus gepflegt wurde.Andererseits beharrten die Juden auf ihrer kulturellen Identität (und griffen dabei auch bisweilen zur Gewalt),die sie auch schließlich bewahren konnten.
Konsolidierung nach dem Tempelverlust
Die Einigung, Neuordnung und Festigung des Judentums nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 ist weitgehend ein Werk des Pharisäers Jochanan ben Sakkai. Er soll nach talmudischen Traditionen als jüngster Schüler Hillels um 40 die Leitung der Tannaiten - der gemäßigten Richtung unter den Pharisäern - gewonnen haben. Nach Legenden ließ er sich im Jüdischen Krieg in einem Sarg aus dem belagerten Jerusalem schmuggeln, um der Todesstrafe der Zeloten zu entgehen und sich den Römern zu stellen.
Er erhielt von ihnen die Erlaubnis, ein Lehrhaus (beth midrasch) in Jawne – nahe dem heutigen Tel Aviv – zu gründen. Dieses baute er zu einem Zentrum des palästinischen Judentums aus, das nach dem Machtverlust der Sadduzäer Aufgaben des Sanhedrin übernahm. Damit wahrte er die Kontinuität der gesamtisraelitischen religiösen Rechtsprechung. Mit Hilfe der kultkritischen Prophetie des Amos und Hosea versuchte er seine Glaubensgenossen davon zu überzeugen, dass das Ende des Tempelkults nicht das Ende des Judentums bedeutete.
Er vereinfachte die Halacha (die geltenden Religionsvorschriften nach der mündlichen Gebotsauslegung der Tora), um sie unter den veränderten Bedingungen erfüllbar zu machen, und führte neue Riten anstelle der nicht mehr praktizierbaren Wallfahrtsfeste ein. Die früher durch Opfer im Zentralheiligtum erwirkte Versöhnung mit Gott wurde durch die Heiligung des Alltagslebens abgelöst. Indem alle Gemeindeglieder etwa das rituelle Händewaschen vor dem Essen übernahmen, konnten Gottesdienste nun auch ohne Mitwirkung der Priester stattfinden. Ihre Zugangsvoraussetzungen verschärfte Sakkai, so dass sie ihre herrschende Stellung für den jüdischen Gottesdienst einbüßten; andererseits durften sie nun nicht mehr nur im Tempel, sondern auch in den Synagogen dienen. Dabei blieb ihre Aufgabe auf das Sprechen des Aaronitischen Segens begrenzt. Damit erreichte Sakkai die Führung der gemäßigten Pharisäer über die sonstigen Strömungen des Judentums.
Unter seinem Nachfolger Gamaliel II., ebenfalls ein Schüler Hillels, wurden die Lehrer von Jawne zugleich als „Fürsten“ (hebr. nasi) Vertreter des jüdischen Volkes gegenüber den Römern. Eine wesentliche Leistung Gamaliels war die Festlegung der jüdischen Gebetsliturgie. Die Aufnahme des „Ketzerfluchs“ in das tägliche Achtzehnbittengebet - Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Böswilligen mögen in einem Moment zugrunde gehen! - richtete sich unter anderem gegen das Christentum, das sich im römischen Reich als Staatsreligion zu etablieren begann. Diese Maßnahme war als Notwehr gegen das von inneren Zerreißproben und äußerer Verfolgung bedrohte Judentum gedacht: Um als Juden zu überleben, wurde eine strenge Ausgrenzung aller Andersgläubigen für notwendig erachtet. Zugleich blieben die Pharisäer jener Zeit offen für die Völkermission.
Gamaliel war seinen Anhängern jedoch zu gemäßigt; er wurde durch einen Nachfahren Esras, Elesar ben Asarja, verdrängt. Dieser führte priesterliche Traditionen wieder ein und stärkte damit restaurative Tendenzen und erneute Hoffnungen der Juden auf nationale Befreiung von der Fremdherrschaft. In diese Zeit fallen Lehrauseinandersetzungen zwischen den Schulen von Hillel und Schammai, die später in der Mischna gesammelt wurden.
Entstehung der jüdischen Heiligen Schriften
Mischna
Um 100 hatten die nun führenden Pharisäer bereits den Tanach kanonisiert und alle wesentlich davon abweichenden Richtungen aus dem Judentum ausgeschlossen: vor allem Hellenismus, Gnostizismus und Christentum. Zudem hatten ihre verschiedenen Lehrhäuser seit etwa 100 v. Chr. begonnen, die mündlichen Auslegungen der Tora (Halacha) zu sammeln und schriftlich zu fixieren.
Von diesen verschiedenen Kodifizierungen setzte sich bis etwa 300 n. Chr. die Mischna der Tannaiten durch und wurde zur zweiten normativen Heiligen Schrift neben der Tora. Dadurch erreichten die Rabbiner Zusammenhalt und einheitliche Religionsausübung der noch bestehenden Judengemeinden in Palästina und in der Diaspora, aber auch die flexible situationsgerechte Auslegung der Tora. Historiker sehen darin eine entscheidende Bedingung für das Überleben des Judentums in feindlicher Umwelt seit dem Tempel- und Staatsverlust.
Talmud
Die Amoräer hatten die mündliche Kommentierung der Tora und deren Sammlung fortgesetzt. Aus ihrer Tätigkeit entstanden gleichzeitig in Galiläa und Babylon der palästinische und babylonische Talmud. In ihm wurden bis 500 die Mischna mit der Gemara vereint. Zudem kamen weitere Midraschim (freie Torapredigten) zur Tora und zu den jüdischen Jahresfesten (Megillot) hinzu.
In Babylon vertrat der seit dem 2. Jahrhundert nachgewiesene Exilarch die autonomen Diasporagemeinden seit 628 (Ausrottung und Vertreibung der Juden aus Medina durch Mohammed) auch gegenüber dem islamischen Kalifat. Hinzu kamen die Schulhäupter der Lehrhäuser, die Gaonen: Diese schufen vor allem eine umfangreiche Responsenliteratur über Fragen der Toraauslegung und alltäglichen Religionsausübung. Auch diese wurde bis etwa 1050 kodifiziert (Halachot gedolot).
Karäer und Masoreten
Die Karäer vertraten seit 750 die Alleingeltung der Tora gegen das am Talmud orientierte Judentum. Daraufhin begannen die Rabbiner erneut das Hebräische zu studieren und die jüdischen Lehren zu systematisieren. Saadia Gaon (882-942), der Gaon von Sura, schrieb dazu die erste jüdische Religionsphilosophie: Glaubenslehren und Erkenntnisgründe.
Um den Text des Tanach vor Fehldeutungen und Willkür zu schützen, fixierten die Masoreten nach dem Konsonantentext bis etwa 1050 auch die Vokalisierung des Tanach im masoretischen Text. Zudem vertiefte sich mit spekulativer Literatur über Gott und die Engel die Hinwendung zur jüdischen Mystik. Das von Stammvater Abraham hergeleitete apokryphe Sefer Jezira, ein erster Entwurf einer Buchstabenmystik, diente als Grundlage der Kabbala.
Islam und Judentum
Der Islam wurde im frühen 7. Jahrhundert durch den Propheten Mohammed auf der arabischen Halbinsel gegründet. Schon Jahrhunderte zuvor waren zahlreiche jüdische Gemeinden über Arabien verstreut, so dass schon zu dieser Zeit verschiedene Ausformungen des Judentums der sesshaften Bevölkerung und auch den beduinischen Stämmen bekannt waren. Besonders verbreitet war das Judentum in Südarabien, wo jüdische Gruppen und Proselyten häufig anzutreffen waren. Altsüdarabische Inschriften, die zum Teil erst in den 1950er Jahren entdeckt wurden, bezeugen die Berichte von vor-islamischen christlichen Schriftstellern über jüdische missioniarische Aktivitäten und Christenverfolgungen, besonders in Nadschran unter Yusuf Dhu Nuwas, den (konvertierten) jüdischen König von Himjar. Der Gottesname Rahman („Barmherziger“), ohne zusätzliches Attribut, taucht in diesen Inschriften mehrmals auf und deutet auf jüdische Herkunft hin.
In den Jahren, die der Prophet Mohammed in Yathrib verbrachte, kam er mit den jüdischen Stämmen, die in den Oasen dieser Gegend lebten, auf zahlreiche positive und negative Weisen in Kontakt, was zweifellos die von ihm verkündete strikte Form des Monotheismus und die Ablehnung des christlichen Glaubensgrundsatzes von Jesus als Sohn Gottes gefördert hat. Obwohl die meisten Erzählungen der Bibel im Koran zu finden sind und die rechtlich bindende Form des Islam auf Vorschriften beruht, die in der Bibel und im Talmud festgelegt wurden, kann der genuin arabische Charakter des Koran nicht genug betont werden, da der Islam durch Mohammed begründet und verbreitet wurde. Die meisten eschatologischen Vorstellungen beruhen ebenfalls auf der gemeinsamen jüdisch-christlichen Überlieferung, auch wenn sie von christlichen Mönchen übertragen wurden. In einem Hadith soll Mohammeds Frau Aischa die Überlieferung von der Bestrafung im Grab von zwei alten Frauen in Medina gehört haben. Nachdem Jerusalem als der Ort des Jüngsten Gerichts akzeptiert wurde, wurden diesen Glaubensvorstellungen weitere jüdische Elemente hinzugefügt.
Viele Erzählungen aus den Qisas al-Anbiya, den „Prophetenlegenden“, gehen zurück auf Kab al-Ahbar, einen Islamkonvertiten jüdischer Herkunft, der den Kalifen Omar auf seiner Reise nach Jerusalem begleitete, oder auch auf Wahb ben Munabbih, ebenfalls einen Konvertiten oder Sohn eines jüdischen Konvertiten. Die Hadith-Literatur, einschließlich der Legenden, zeigt eine erstaunliche Kenntnis von Halacha und Aggada, wie sie in Talmud und Midraschim niedergelegt sind. Wie im Judentum gab es zunächst auch im Islam Widerstand gegen die Niederschrift der Aussagen und Lehrsprüche, die durch die Überlieferungskette Isnad übermittelt wurden. Der Kalif Omar missbilligte die schriftliche Fixierung der Sunna mit den Worten: Wollt ihr eine (schriftliche) „mathnat“ wie die „mathnat“ (aram. für Mischna) der Juden?
Nicht in allen Fällen kann eine klare Abhängigkeit der islamischen Lehren und Methoden vom Judentum postuliert werden. Die fundamentale Ähnlichkeit von Judentum und Islam, die beide auf religiösen Gesetzen beruhen, die sich in Prinzipien, Methoden und der jeweiligen Rechtsauffassung niedergeschlagen haben, führte in späteren Jahrhunderten zu parallelen Entwicklungen. Die Geonim, die Leiter der zwei berühmten talmudischen Akademien von Sura und Pumbedita, erhielten unzählige Fragen über das Verhalten in rechtlichen und sozialen Angelegenheiten; Zehntausende ihrer Responsen sind erhalten geblieben. Dieselbe Praxis herrschte bei den muslimischen Muftis, einer Kategorie von Juristen, bei denen jeder Muslim eine Fatwa, ein rechtliches Urteil basierend auf dem religiösen Gesetz, erbitten konnte. Sowohl Fatwa als auch Responsen besaßen rechtlich bindende Kraft. Es ist schwierig zu entscheiden, ob die Entwicklung dieser Rechtsliteratur in beiden Religionen unabhängig oder infolge gegenseitiger Beeinflussung erfolgte.
Die islamische Kultur, die das Erbe der
alten Griechen und des
Hellenismus aufgenommen hatte, beeinflusste einige Aspekte der jüdischen Gedankenwelt und Wissenschaft nachhaltig. Nachdem die griechische und jüdische Kultur jahrhundertelang getrennt voneinander existiert hatten, kehrten die Werke der
griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler in den Gesichtskreis jüdischer Denker und Gelehrten durch
arabische Übersetzungen (zum Teil aus früheren Übersetzungen in
syrischer Sprache) zurück. Auf diese Weise lernten
Saadia Gaon,
Ibn Gabirol und
Maimonides die Werke von
Aristoteles,
Platon und des
Neuplatonismus kennen.
Spanien
Vorgeschichte unter den Westgoten
Im Laufe des 1. Jahrtausends hatte sich allmählich das geistige Zentrum des Judentums von Mesopotamien nach Europa, vor allem nach Spanien und in den nordfranzösischen Raum, verlagert. Schon zu Beginn des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung waren auf der Iberischen Halbinsel die ersten jüdischen Kolonien entstanden. In den Umbrüchen und Veränderungen, die der Zerfall des Weströmischen Reiches mit sich brachte, gerieten die Juden überall dort in Bedrängnis, wo größere Bevölkerungsgruppen zum Christentum übertraten. So lebten die Juden unter den nach Spanien eingewanderten Westgoten in weitgehender Freiheit und unbehelligt, solange die Westgoten Anhänger des Arianismus waren und die Lex Romana Visigothorum kaum Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben hatte.
Als aber die Westgotenkönige im 6. Jahrhundert zum römisch-katholischen Glauben übertraten, wurden die antijüdischen Bestimmungen dieses Gesetzes durchgeführt, deren Ziel die Zwangstaufe bzw. Vertreibung der Juden war. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts, nur wenige Jahre vor der Eroberung weiter Teile Spaniens durch die Araber 711, tauchten die ersten antijüdischen Verschwörungstheorien auf, wonach die in Spanien lebenden Juden zusammen mit den Juden des Orients Aktionen gegen Staat und Kirche planten.
Blütezeit nach der arabischen Eroberung
Die arabische Eroberung verhinderte eine weitere Eskalation der antijüdischen Stimmung. Tatsächlich brachten die ersten Jahrhunderte der arabischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel eine Zeit des Friedens für die jüdischen Einwohner, und dies, obwohl es in den ersten Jahrzehnten immer wieder zu jüdischen und auch jüdisch-christlichen Aufständen gegen die Araber kam. Zu jener Zeit lebte fast die Hälfte aller Juden auf der Iberischen Halbinsel.
Das 10. und 11. Jahrhundert brachten eine Hochblüte des sephardischen Judentums in Kultur und Wissenschaft. Eines der frühesten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und arabischer Kultur entstand in Córdoba. Hier wirkte der Arzt und Diplomat Chasdai ibn Schaprut (915-961). Auch die erste jüdische Gelehrtenschule Spaniens entstand in Córdoba, gegründet von dem aus Sura als Sklaven hierher gebrachten Moses ben Chanoch. Sein Schüler Josef ben Abitur übersetzte die Mischna ins Spanische. Aus Córdoba stammte auch der berühmteste jüdische Philosoph des Mittelalters, Moses Maimonides. Im Königreich Granada und Málaga wurde Samuel ha Nagid Wesir des Königs, eine Stelle die er fast 30 Jahre lang innehatte. Sein Zeitgenosse war der aus Málaga stammende Dichter Solomon ibn Gabirol (1021-1058), dessen geistliche Werke Eingang in die Liturgie fanden und dessen weltliche Gedichte, zumeist Liebesgedichte, einen Höhepunkt der mittelalterlich sephardischen Dichtung darstellen. Unter dem Pseudonym Avicebron übte sein postum erschienenes philosophisches Werk Mekor Chajim („Quell des Lebens“) einen großen Einfluss auf die christlichen Autoren seiner Zeit aus. Bahya ibn Paquda, der Begründer der jüdischen Moralphilosophie, über dessen Lebensdaten nichts bekannt ist, verfasste mit Chewot halewawot („Herzenspflichten“) eine der lange Zeit beliebtesten Erbauungsschriften über die jüdisch-talmudistische Frömmigkeit. Die Übersetzerfamilie Ibn Tibbon, in Spanien und Südfrankreich ansässig, übertrug bedeutende Werke der arabischen Literatur ins Hebräische.
Verfolgungen im 12. und 13. Jahrhundert
Während der Zeit der Almoraviden und Almohaden wechselten Perioden relativen Friedens und relativer Sicherheit für die Juden mit einer Reihe von Verfolgungen durch die arabischen Herrscher ab. Viele der verfolgten und vertriebenen Juden flüchteten in den christlichen Teil Spaniens, nach Palästina oder nach Nordafrika. Die Bedeutung der arabischen Kultur und der weitgehenden Assimilation der jüdischen Bevölkerung an diese wird auch daran deutlich, dass Moses Maimonides seinen More Nevuchim (Führer der Verirrten) zunächst in arabischer Sprache verfasste. Doch auch er musste vor den Verfolgungen durch die Almohaden mit seiner Familie nach Nordafrika flüchten. Für die im maurischen Spanien zurückgebliebenen Juden verschlechterte sich die Lage in dem Maße, in dem die christliche Reconquista Teile Spaniens wieder zurückeroberte.
Ehemalige Synagoge in Toledo, heute sephardisches Museum
Im christlichen Teil Spaniens war Toledo im 12. und 13. Jahrhundert ein Zentrum jüdisch-christlicher Kultur in Europa. Hier gründete Mitte des 12. Jahrhunderts der Erzbischof Don Raimundo die Übersetzerschule von Toledo, die aus Juden wie Christen gleichermaßen bestand und wesentlich an der Vermittlung antiker Philosophie und arabischer Naturwissenschaft im mittelalterlichen Europa Anteil hatte. Jüdische Gelehrte erlangten hohe Positionen in Staat und Gesellschaft. Josef ha Nasi ben Farrizueul, genannt Cidellus, wurde Leibarzt im Dienst des kastilischen Königs Alfons VI. Nach dessen Tod jedoch kam es zu größeren Judenverfolgungen in Kastilien. Barcelona wurde ein Zentrum talmudischer Gelehrsamkeit; im spanischen-provenzalischen Grenzgebiet entstand die Kabbala. Der eher judenfreundlichen Politik des Königs und des Adels stand im christlichen Spanien jedoch seit der Mitte des 13. Jahrhunderts eine judenfeindliche Einstellung von Kirche und Bürgerschaft gegenüber. Unter dem Einfluss des allgemeinen Konzils von Vienne (siehe Ökumenische Konzile) im Jahr 1311 forderte der spanische Klerus immer lauter die Entfernung der Juden aus allen Staatsämtern, die Trennung der christlichen von den jüdischen Lebensbereichen, die Aufhebung des Zeugnisrechtes für Juden und ihre öffentliche Kenntlichmachung durch besondere Kleiderattribute, wie dem Tragen eines Judenabzeichens. Am 6. Juni 1391 stürmte der seit Jahrzehnten durch antijüdische Propaganda von der Kanzel herab aufgeputschte Pöbel das jüdische Viertel Sevillas. Seine Bewohner wurden, wenn sie nicht den Tod fanden, als Sklaven verkauft oder der Zwangstaufe unterzogen. (Letztere wurde bereits seit der Zeit der Westgoten durchgeführt.) Die zwangsgetauften Juden – spanisch conversos bzw. Marranen: Schweine), lateinisch christiani novi, hebräisch annussim: Gezwungene genannt – sollten in den folgenden Jahrzehnten das Ziel blutiger Verfolgungen und Massaker sein. Sie wurden verbrannt und ermordet.
Mittel- und Nordeuropa
Kulturelle Blüte
Trotz mannigfacher Verfolgungen erlebte das mittelalterliche Judentum auch in Mittel- und Nordeuropa eine Blütezeit, deren Folgen zum Teil bis heute nachwirken. An erster Stelle ist hier Raschi aus Troyes (1040-1105) zu nennen, Rabbiner und maßgeblicher Herausgeber und Kommentator des Talmud. Der auf ihn zurückgehende Talmud-Kommentar gilt bis heute als einer der bedeutendsten und wird in den meisten Ausgaben mit abgedruckt. Raschis Enkel Raschbam und Rabbenu Tam studierten bei ihrem Großvater und wurden ebenfalls bedeutende Bibel- und Talmudkommentatoren.
Ghettoisierung
Im Mittelalter bildeten die christliche Kirche und der Staat eine Einheit. Seit dem Hochmittelalter betrachteten Christen Juden als Angehörige einer fremden, veralteten Religion. Sie begegneten dieser religiösen Minderheit mit Misstrauen und Feindschaft. Wo Krieg, Krankheit, Hunger auftraten, gaben die Menschen den Juden die Schuld. Massenmorde an Juden, Verbrennungen und Folterungen erhielten den kirchlichen Segen, wodurch die Täter von ihrem schlechten Gewissen befreit wurden. Über Jahrhunderte durften Juden, die stark zusammenhielten, nur in bestimmten Wohnbezirken (Ghettos) leben. Sie waren in den Zünften der christlichen Handwerker nicht zugelassen, konnten keine öffentlichen Ämter bekleiden und keinen Grundbesitz erwerben. Daher waren sie immer stärker in Handel und Geldgeschäften tätig.
Wegen des Zinsverbotes durften Christen kein Geld gegen Zinsen verleihen. Die Juden durften dies zwar ebenfalls nicht untereinander, sehr wohl aber den Nicht-Juden gegenüber. So übernahmen sie diese Marktlücke und kamen deswegen in den schlechten Ruf, Wucherer zu sein und zu hohe Zinsen zu nehmen; besonders wurde dies von Schuldnern, die ihren Kredit nicht zurückzahlen konnten, aufgebracht.
Für die christliche Kirche waren Juden nicht nur je nach Bedarf Einnahmequelle, „Gottesmörder oder Brunnenvergifter“, sondern vor allem war diese Existenz verstreut lebender und leidender Juden Zeugnis göttlicher Offenbarung.
Verfolgungen
Bereits 1144 waren im englischen Norwich die ersten Beschuldigungen wegen angeblichen rituellen Christenmordes aufgetaucht, die in der Enteignung und endgültigen Vertreibung der Juden aus England unter Eduard I. gipfelten, und 1215 verkündete Papst Innozenz III. auf dem 4. Laterankonzil eine Reihe von antijüdischen Maßnahmen. Wie schon im arabischen Kodex Omar forderte auch er, dass sich Juden in der Öffentlichkeit durch bestimmte Farben und Kleidung kenntlich zu machen hätten. Die antijüdischen kirchlichen Gesetze führten schließlich zum Verbot des Talmud und 1242 zu seiner öffentlichen Verbrennung in Paris. Zwar hob Innozenz IV. das Talmudverbot wieder auf, doch konnte er die antijüdischen Tendenzen und Haltungen innerhalb der Kirche damit nicht verhindern bzw. abmildern. Zwischen 1298 und 1348 kam es zu zahlreichen blutigen Pogromen vor allem in den deutschsprachigen Gebieten, so 1298 bis 1303 unter Führung von König Rintfleisch und zwischen 1336 und 1338 unter Führung des Raubritters König Armleder. Am 17. September 1394 vertrieb Karl VI. (Frankreich) sämtliche Juden aus Frankreich.
Verbrennung von Juden anläßl. der Pest 1349
Als in den Jahren 1348 bis 1353 die Pest in ganz Europa wütete – man schätzt, dass während der verschiedenen Schübe, in denen die Pest immer wieder aufflammte, 25 Millionen Menschen in Westeuropa starben – wurden die Juden als vermeintliche Urheber der Seuche verfolgt und der Brunnenvergiftung beschuldigt. Diese Pestausbrüche waren mit zahlreichen Pogromen verbunden (siehe dazu Pestpogrom).
Einen vorläufigen Höhepunkt der religiös begründeten Judenfeindschaft bildeten die mittelalterlichen Kreuzzüge. Kreuzritter plünderten auf dem Weg ins Heilige Land jüdische Stadtviertel und Dörfer, vor allem im Rheinland. Viele Juden flüchteten in andere Regionen Deutschlands und nach Osteuropa und nahmen ihre deutschen Namen und ihre Sprache, das Jiddische mit.
Siehe auch: Wormser Privileg, Kammerknechtschaft, Geschichte der Juden in Ostfriesland
Osteuropa
Chasaren
Vermutlich sind Juden seit Ende des 7. Jahrhundert von Konstantinopel kommend in der heutigen Ukraine ansässig. Bis in das 10. Jahrhundert können jüdisch-chasarische Siedlungen zurück verfolgt werden. In der Zeit zwischen 786 und 809 n.Chr. trat die gesamte Oberschicht der Chasaren zum Judentum über. Die Chasaren werden daher gelegentlich auch „der 13. Stamm Israels“ genannt.
Die Zahl der Bekehrten belief sich angeblich auf etwa 4000 Menschen, die jüdische Lehre durchdrang also auch das gesamte Volk. Im Laufe der Zeit mischten sich Juden und turksprachigen Chasaren. In den Jahrzehnten nach Einfall der Russen um 944 und durch innere Zwistigkeiten zerbrach das Chasaren-Reich schließlich. Während der Kiewer Rus erlebten die Juden eine weitere Blütezeit (980-1015).
Polen
Hauptartikel: Geschichte der Juden in Polen
Vom 12. bis zum 14. Jahrhundert wanderten zahlreiche Juden ins Königreich Polen aus. Sie siedelten zunächst in den dem Deutschen Reich nahegelegenen Städten und Provinzen. Unter Mecheslav III. und weiteren Prinzen hielten Juden die Münze von Groß- und Kleinpolen. 1264 erhielten die Juden durch den damaligen Herrscher Großpolens Boleslav V., der Fromme weitreichenden Schutz und Privilegien. Das sogenannte Statut von Kalisch, das sich eng an die Privilegien die Ottokar II. den mährener Juden gewährte anlehnt, sah unter anderem vor, dass ein Rechtsstreit zwischen einem Juden und einem Christen vor dem Prinzen selbst oder dessen Vertreter in der Provinz, dem Wojwoden geführt werden. Rechtsstreite zwischen Juden wurden unter die Jurisdiktion eines jüdischen Richters gestellt. Auch sollte nach §32 der Statuten, „Ritualmord“-Anklagen von sechs „Zeugen“ untersucht werden, von denen drei Christen und drei Juden sein sollten. Dank dieser und anderer für die Juden Polens positiven Gesetzgebung konnten sich die jüdischen Gemeinden relativ sicher entwickeln. Diese Sicherheit war zum Nutzen beider Seiten. Auch wenn schon bald Versuche unternommen wurde diese Freiheiten einzuschränken (Synoden von Breslau 1267 und Ofen 1279), so war es diese Sicherheit die beiden Seiten nutzte. Denn es waren jüdische Händler die wichtige Handelslinien nach Westen und Osten eröffneten oder ausbauten und somit nicht unwesentlich zur Orientierung Polens nach Westen beitrugen.
König Kasimir der Große bestätigte nicht nur die Privilegien während seiner Regierungszeit, sondern er erweiterte oder präzisierte sie in einigen Punkten und dehnte ihre Rechtsgültigkeit auch auf das Gebiet Kleinpolens aus. Jagiello, Großfürst Litauens heiratete im Jahre 1386 die Kronerbin Jadwiga. Nach seiner Taufe wurde er zum König gewählt. Sein gesamtes bis zu diesem Zeitpunkt heidnisches Fürstentum wurde zwangschristianisiert. Doch Witold, der Vetter des Königs, der zunächst den Widerstand gegen Jagiello und dessen Politik der Christianisierung leitete, gewährte den jüdischen Gemeinden von Troki, Brest-Litowsk und Grodno weitreichende Privilegien, die letztendlich einer Gleichstellung mit der sonstigen Bevölkerung gleichkamen.
Im Jahre 1399 erfolgte in Posen die erste bekannte Beschuldigung wegen Hostienfrevels. Der Rabbi der Gemeinde sowie dreizehn Gemeindeälteste und die Frau, die ihnen angeblich geweihte Hostien besorgt hatte, wurden öffentlich verbrannt. Die jüdische Gemeinde zu Posen wurde zur jährlichen Zahlung einer Geldstrafe an die Dominikaner verurteilt. 1407 wurde in Krakau die erste bekannte Ritualmordklage erhoben. Von der Kanzel der St. Barbara-Kirche verkündete der Priester Budek der Gemeinde, die Juden hätten ein christliches Kind in der Nacht ermordet und sein Blut für rituelle Zwecke verwendet. Der Mob stürmte die jüdischen Häuser und steckte sie in Brand. Viele jüdischen Mitbürger wurden ermordet oder suchten Zuflucht in der Taufe. Alle Kinder der Ermordeten wurden zwangsgetauft.
Überblick
Die Umwälzungen der Reformation im 16. Jahrhundert veränderten die Lage der Juden in einigen Regionen Europas. Die Bedeutung der hebräischen Literatur für das europäische Geistesleben war bereits seit der Renaissance, in der einige Bibelhandschriften der Masoreten wiederentdeckt wurden, gewachsen. Neben dem Tanach, der Hebräischen Bibel, wurden zunehmend auch der Talmud und andere jüdische Literatur studiert, was dem Judentum zu einigem Ansehen verhalf. Martin Luthers Aufforderung von 1543, die Juden zu vertreiben oder ihnen Arbeitszwang aufzuerlegen, kamen die evangelischen Fürsten nicht nach. Unter dem Einfluss der protestantischen Konkurrenz trat die antijudaistische Ritualmordlegende auch in katholischen Ländern zeitweise zurück.
Im Zeitalter der Gegenreformation und der Konfessionskriege, die im Dreißigjährigen Krieg gipfelten, wurden Juden teils regional gegen hohe Abgaben geduldet, teils als vermeintliche Pestüberträger oder Verbündete der jeweiligen Glaubensfeinde verfolgt. Mit dem Westfälischen Frieden 1648 wuchs jedoch in Europa die Einsicht, dass sich Glaubensfragen nicht durch Kriege entscheiden lassen. Während die Großkirchen zu einem Kompromiss fanden, wurden religiöse Minderheiten weiterhin stark bedrängt. So gingen neue Ideen der Toleranz nicht von den Kirchen aus, sondern von religiösen Randgruppen und aufgeklärten Philosophen, z.B. John Locke und Baron de Montesquieu. Dieser forderte als Erster die Gleichberechtigung der jüdischen mit der christlichen Religionsausübung. Antijüdische Polemiken waren nun selten und wurden manchmal sogar verboten: so ein antijüdisches Pamphlet von Johann Andreas Eisenmenger.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich aus dem Naturrecht die Idee der Menschenrechte. Damit konnte auch die Jüdische Emanzipation langfristig in das Blickfeld aufgeklärter Fürsten und Bürger kommen. Der Mensch wurde nicht länger nach seiner Religionszugehörigkeit bewertet, sondern nach seiner Nützlichkeit für den Staat. Mehrere bedeutende Verfechter des Merkantilismus waren den Juden gegenüber jedoch weiterhin feindselig gesinnt (z.B. William Petty, Johann Joachim Becher). So waren es jüdische Apologeten selbst, die für mehr Rechte der Juden mit utilitaristischen Argumenten eintraten, wie z.B. Simone Luzzatto, dessen Schriften auf einflussreiche Denker wie Montesquieu wirkten.
Die Gegebenheiten für jüdische Gemeinden entwickelten sich unter den sich verändernden gesellschaftlichen Zuständen sehr verschieden. Schon seit den Kreuzzügen des 13. und den Pestpogromen des 14. Jahrhunderts war in Osteuropa ein Zentrum autonomen jüdischen Lebens entstanden; weitere Zentren entstanden nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und Portugal (1497; sephardischen Zerstreuung) im Osmanischen Reich (seit 1517), in den Niederlanden (seit 1581), in New Amsterdam (1626) und in England (Aufhebung des Einwanderungs- und Ansiedlungsverbots ab 1650).
Diaspora unter islamischer und christlicher Herrschaft
In Spanien wurden seit 1391 die Juden offiziell verfolgt und mussten zwischen Hinrichtung und Zwangstaufe wählen. Eine besondere Schärfe erhielten die Verfolgungen, als mit Einführung der Inquisition 1480 unter Ferdinand II. von Aragon und Isabella von Kastilien nicht mehr nur die Juden Ziel der Nachstellungen wurden, sondern auch jene, die zwar rein äußerlich zum Christentum konvertiert waren, um ihr Leben zu retten, die aber im Geheimen weiterhin ihrem alten Glauben die Treue hielten. Eine große Zahl dieser zwangskatholisierten spanischen und portugiesischen Juden wurde Opfer der Inquisition und starb auf dem Scheiterhaufen. Nicht zuletzt auf Betreiben des Großinquisitors Tomás de Torquemada wurden am 31. März 1492 alle Juden aus Spanien vertrieben. 1497 folgte auch ihre Ausweisung aus Portugal.
Einige der vertriebenen Sephardim ließen sich zunächst in Brasilien nieder. Da dort aber nur den Marranen der Aufenthalt erlaubt war und bald auch in den überseeischen Kolonien die Verfolgung durch die Inquisition eingeführt wurde, verließen viele Juden das Land wieder. 1654 waren es brasilianische Marranen, die erstmals eine Gemeinde in der niederländischen Kolonie Neuamsterdam (heute New York City) gründeten. Dazwischen haben sie Kolonien in Nordargentinien, Surinam, Kolumbien (Antioquia) und México. Diese Gruppen sind bis heute noch in ihren jüdischen Lebensweisen und kulturellen Elementen erkennbar, nicht zuletzt der Pflege der Sprache, Ladino, mit dem typischen voseo (vos statt usted).
Die Mehrzahl der sephardischen Juden floh jedoch ins Osmanische Reich, nach Holland, Deutschland, Italien oder Griechenland. Von großer Bedeutung für die weitere kulturgeschichtliche Entwicklung in Europa wurden die nach Italien geflohenen Juden, da sie dank ihrer profunden Kenntnisse antiker Autoren und antiker Philosophie einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der Renaissance hatten.
Die größte jüdische Gemeinde Europas befand sich im 16. Jahrhundert jedoch in Konstantinopel, dem späteren Istanbul. Die einwandernden Marranen trafen hier auf eine bereits bestehende lebendige jüdische Bevölkerung: Neben den Griechisch sprechenden Romanioten – so nannten sich die Byzantiner – lebten hier eine kleinere Gruppe aschkenasischer Juden, eine große Gruppe osteuropäischer Juden, die vor den Verfolgungen aus Osteuropa ins Osmanische Reich geflüchtet waren, sowie eine kleine Gemeinde von Karärern, die bedeutende Vertreter hervorbrachte.
In Deutschland spielten die Marranen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der jüdischen Aufklärung bzw. Haskala sowie allgemein im Emanzipationsprozess innerhalb der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert. Die meisten dieser Marranen waren erst Anfang des 17. Jahrhunderts von Amsterdam und Antwerpen nach Deutschland, vor allem nach Hamburg, gekommen. Sie waren Nachfahren der ursprünglich aus Spanien und Portugal in die Niederlande geflüchtete Marranen, die dort geschlossen zum Judentum zurückgekehrt waren.
Nach der protestantischen Reformation wurden manche Länder Europas toleranter gegenüber den Juden. Erste Anzeichen gab es in England, wo das Commonwealth unter Oliver Cromwell den Juden ab 1650 die Einwanderung anbot. Einflussreiche Männer wie der Philosoph John Locke und der Missionar Roger Williams luden sie zudem ein, sich in den englischen Kolonien Nordamerikas niederzulassen. In Frankreich verlieh die Nationalversammlung den Juden im Zuge der Französischen Revolution 1791 das Wahlrecht.
Die meisten aschkenasischen Juden, die zur Zeit der Kreuzzüge und der verschiedenen Pestepidemien in Mitteleuropa vor den Verfolgungen nach Osteuropa geflüchtet waren, ließen sich in Polen und Russland nieder. Um 1648 betrug ihre Zahl in Polen über 500.000, die innerhalb des Königreichs ihre Autonomie bewahrten und das Land zu einem Zentrum des jüdischen Lebens machten. Zwischen 1648 und 1658 kam es zu Pogromen in der Ukraine, die nach dem Aufstand des Kosakenführers Chelmnizki (um 1595 bis 1657) einsetzten. Siehe auch Sabbatai Zwi.
Der Zerfall des polnischen Staates und die Teilungen Polens führten zu Beginn des 19. Jahrhunderts dazu, dass von nun an die ursprünglich einheitliche jüdische Bevölkerung Osteuropas in verschiedenen politischen Einflussgebieten lebte und sich auch verschieden entwickelte. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung war durch die Teilungen zu Bürgern des Habsburgerreichs bzw. Preußens geworden. Doch der weitaus größere Teil lebte nun im zaristischen Russland, wo die Ansiedlung nicht nur auf den so genannten Ansiedlungsrayon beschränkt war, sondern die Juden auch politisch nahezu rechtlos waren.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung in Osteuropa rapide. In Russland kam es zu zahlreichen Pogromen, die ihren Höhepunkt gegen Ende des Jahrhunderts erreichten und bis zur Russischen Revolution 1917 immer wieder aufflammten. Zwischen 1890 und dem Ende des 1. Weltkriegs emigrierten als Folge der Pogrome rund zwei Millionen Juden aus Russland in die Vereinigten Staaten. Lebten zur Zeit des Nordamerikanischen Unabhängigkeitskriegs um 1780 schätzungsweise 2.000 Juden in den USA, so war ihre Zahl um 1880 schon auf annähernd 250.000 angestiegen. Während der nächsten vierzig Jahre reisten nochmals drei Millionen Juden ein, vor allem aus Osteuropa. Der große Strom versiegte erst 1924 mit der Einführung der Einwanderungsbeschränkungen. Nach 1933 waren die Vereinigten Staaten dann ein wichtiger Zufluchtsort für die vor dem Terror des Nationalsozialismus flüchtenden Juden aus ganz West- und Osteuropa. Trotzdem wurden nicht alle Juden in den USA aufgenommen. Manche Flüchtlingsschiffe wurden abgewiesen und mussten wieder umkehren.
Andere Kolonien ehemaliger osteuropäischer Juden waren bereits früh auch in Kanada, Südamerika (insbesondere in Argentinien) sowie in Palästina entstanden.
Aufklärung
Die Ideale der Aufklärung, die unter den europäischen Bildungsschichten während des 18. Jahrhunderts aufkamen, hatten widersprüchliche Auswirkungen. Auf der einen Seite respektierte man das Individuum unabhängig von seiner Religion und Abstammung als „menschliches Wesen“, war aber andererseits nicht bereit, historisch gewachsene Gruppen anzuerkennen, die nicht beabsichtigten, ihre Identität aufzugeben. Juden, die in die Gesellschaft aufgenommen werden wollten, zugleich aber Juden bleiben wollten, wurden der Heuchelei verdächtigt. Während Lessings Ideal von Toleranz die Identität des Menschen respektierte („Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch?“ (Nathan)), verlangte Herder von den Juden, sich anzupassen so dass sie „nach europäischen Gesetzen leben und zum Besten des Staates beitragen“.
Neben der Befürchtung, die Juden könnten, wenn sie ihre Identität bewahren, einen Staat im Staate bilden, kamen auch antikirchliche Bestrebungen zum Tragen. So versuchten Deisten, Anhänger von Naturreligionen und Religionsgegner die Fundamente der christlichen Kirchen anzugreifen, indem sie behaupteten, das Alte Testament sei eine jüdische Fälschung. Zahlreiche antisemitische Stereotypen wurden neu belebt und von führenden Denkern ins Feld geführt: „ein unwissendes und barbarisches Volk, das seit langem den schmutzigen Geiz mit dem verachtungswürdigen Aberglauben verbindet“ (Voltaire). Fichte sah keine andere Möglichkeit als „in der Nacht ihnen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei.“
Auch andere Bestrebungen zielten auf die „Besserung“ der Juden ab. Man bekannte sich zur Verantwortung für die Verfolgung, Isolation und Diskriminierung der Juden. Die entwickelten Integrationsmodelle (z.B. von C.W.Dohm) sollten Nachteile in Bildung und Beruf zu verringern, waren aber von den alten Vorurteilen geprägt. Sie liefen außerdem stets darauf hinaus, die Faktoren, welche die Juden von ihrer Umwelt unterschieden, auf ein Minimum zu beschränken.
Anfang des 19. Jahrhunderts bildete sich in Deutschland eine an der jüdischen Aufklärung Haskala orientierte Reformbewegung des Judentums, die eine religiöse Erneuerung hervorrief, die noch heute vor allem in Nordamerika fortbesteht. Israel Jacobson, Hoffaktor von Jérôme Bonaparte, gründete 1810 als erster in Seesen (und später in Kassel) eine reformorientierte Schulsynagoge. Es bildeten sich in Berlin und Hamburg Gemeinden, die Reformsynagogen bauten, die sich Tempel nannten.
Emanzipation in Europa und deren Scheitern
Seit der Französischen Revolution im Jahr 1789 erhielten die Juden in Europa nach und nach die Bürgerrechte und wurden zunehmend rechtlich gleichgestellt. Sie waren jetzt mehr oder minder anerkannte Mitbürger, die eben nur einer anderen Religion angehörten. In Deutschland fühlten sie sich als deutsche Bürger jüdischen Glaubens. Viele Juden traten sogar zum Christentum über. Zum Teil wurden jüdische Familien auch in den erblichen Adelsstand erhoben, zum Beispiel die Oppenheims oder die Familie Hirsch auf Gereuth, die in Bayern bereits 1815 in den Erbadelsstand erhoben wurden. Die Rothschilds wurden in Österreich 1822 in den Erbadelsstand erhoben, in England wurde erst 1885 mit Nathaniel de Rothschild der erste praktizierende Jude zum Lord erhoben. Ihr Bekenntnis zu Deutschland zeigten sie mit ihrer Teilnahme an den Befreiungskriegen 1813 bis 1815, am Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 und am ersten Weltkrieg. Im Laufe des 19. Jahrhunderts passten sich die Juden nahezu vollständig an ihre christliche Umwelt an und galten fast als gleichberechtigte Mitbürger. Sie waren Mitglieder bei Feuerwehren oder Schützenvereinen oder stellten Bürgermeister. Teilweise akzeptierten die Christen auch die religiösen Sitten der Juden. Sie nahmen z.B. an Einweihungen von Synagogen teil oder verlegten - wie die Stadt Oberkirchen 1854 - den Markttag, wenn er auf einen jüdischen Feiertag fiel. Die Juden blieben in der Minderheit, sie stellten weniger als zwei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Doch die Zahl der jüdischen Ärzte, Rechtsgelehrten, Maler, Dichter, Musiker und Regisseure war überproportional hoch. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy, die Arbeiterführer Karl Marx und Rosa Luxemburg, der Arzt und Psychiater Sigmund Freud, der Physiker Albert Einstein sind nur einige von vielen jüdischen Persönlichkeiten, die das deutschsprachige Geistes- und Kulturleben über die Landesgrenzen hinaus belebten. Unter 40 deutschen Nobelpreisträgern bis 1933 waren 11 Juden. Im 1. Weltkrieg kämpften jüdische Offiziere und Soldaten mit und es wurden einige mit hohen Orden ausgezeichnet.